Bei den hier veröffentlichten Texten handelt es sich um die freie Meinungs-
äußerung der Verfasser. Die Inhalte decken sich nicht zwangsläufig mit den Ansichten der IUEWT!


Das Schlüsselwort zu einer erfolgsorientierten Entwicklung nicht nur in den Kampfkünsten – Intention

Das Schlüsselwort “Intention“ hat eine tiefgehende und durchgängige Auswirkung auf die Effektivität eines Kampfkunstsystems, welches eigentlich primär der Selbstverteidigung dienen soll.

Die erste logische Frage die sich in diesem Zusammenhang stellt: gibt es eigentlich ein Kampfkunstsystem, welches nicht der Selbstverteidigung dient? Beantwortet man diese Frage mit Ja, dann betreibt man eigentlich kein Kampfkunstsystem im eigentlichen wörtlichen Sinne! Hierbei führt eine Weiterführung der Fragestellung zum Begriff des Kampfsportsystems, welches aber primär der Unterhaltung eines Publikums dient, welches durch die Attraktivität der Wettkämpfe immer wieder neu gewonnen und angezogen werden soll.

Wird obige Frage mit Nein beantwortet, dann ist die Verbindung zwischen den Begriffen Kampfkunstsystem und Selbstverteidigung sehr eng. In der Selbstverteidigung geht es primär um die Ausbalancierung von Risiko und Sicherheit. Jeder Mensch, egal wie emotional oder nicht, befürwortet das Verhältnis zwischen Risiko und Sicherheit bei 0%/100% – 0% Risiko und 100% Sicherheit! Dieses Verhältnis geht immer Hand in Hand, soll heißen, bei 0 % Risiko habe ich automatisch 100 % Sicherheit, denn wenn kein Risiko vorhanden ist gibt es nur noch Sicherheit! Daraus lässt sich
ableiten, dass alle Bewegungen und Strategien einer Kampfkunst, die der Selbstverteidigung dient, auf dieses Verhältnis hin ausgerichtet sein muss, um dem Anspruch der Selbstverteidigung gerecht zu sein.

Da der ungeübte Mensch von Natur aus aber nicht über die entsprechenden körperlichen und mentalen Werkzeuge verfügt, um dieses Verhältnis in einer Gewaltsituation, die nur Bruchteile von Sekunden dauert, herzustellen, ist eine Schulung nötig. Diese Schulung, die von Grund auf solide aufgebaut und ständig weiter geführt werden muss, muss aber auch mit einer gewissen Ernsthaftigkeit durchgeführt werden, um dem angestrebten Ziel näher zukommen. Hierbei ist es entscheidend, dass der Neuanfänger langsam, strukturiert und kontinuierlich gefördert wird, um
ihm die Möglichkeit zu geben, sich anhand der immer neuen Veränderungsprozesse anzupassen. Die Ernsthaftigkeit wird durch den Begriff “Intention“ besser verständlich. Dabei bezieht sich der Begriff “Intention“ auf den allgemeinen Verlauf der Ausbildung als auch auf den einzelnen technischen Aspekt.

Ein Beispiel aus dem alltäglichen Leben: Das Erlernen einer Sprache. Um in der Welt mit Menschen verschiedenster Kulturen kommunizieren zu können, ist es notwendig die jeweilige Fremdsprache zu beherrschen oder zumindest die Fremdsprache zu beherrschen, die am weitesten verbreitet ist. Beginnt man eine neue Sprache zu erlernen, so startet man nicht mit alltäglicher Konversation sondern mit einfachen Übungen und Worten. Dabei ist es wichtig, um einen nachhaltigen Lerneffekt erzielen, das in keiner Stunde zu viel Unterrichtsstoff in zu schneller Zeit vom Unterweisenden vermittelt wird, denn dadurch werden sämtliche Aufnahmekanäle zu schnell aufgrund von Überflutung geschlossen. Dies hat zur Folge, dass der Lernende bewusst die meisten Dinge nicht wahrnehmen
kann. Das andere Extrem – den Lernenden kaum zu fordern, um ihm stets ein Wohlgefühl zu erhalten, ist ebenso schlecht geeignet für einen nachhaltigen Lernerfolg, denn er bekommt das Gefühl, Lernen ist ein rein spielerischer Vorgang. Die Inhalte einer jeden Stunde sollten dem Lernenden so vermittelt werden, dass er stets eine gewisse leichte Forderung für sich selbst wahrnimmt, aber auch gleichzeitig versteht, warum er gefordert werden muss. In diesem Zusammenhang bedeutet “leicht“, dass der Unterweisende nie über 30 % der mentalen und körperlichen Aufnahmekapazität des jeweiligen vorher erreichten hinausgeht, um nach wie vor dem Lernenden die Aufnahmekanäle zur Wahrnehmung und Verarbeitung der neue Inhalte offen zu halten. Durch beständiges Lernen und Trainieren ist das hehre Endziel des Erlernen einer Sprache die Unterhaltung auf dem gleichen Niveau wie in der eigenen Muttersprache.

Hierbei führt das Lernmodell zum so genannten “Treppenlernmodell“: erst wenn eine neue Lernstufe durch Anpassung soweit gefestigt wurde, bietet sie eine neue Ausgangsbasis. Damit hat sich dann eine neue “Wohlfühlzone“ beim Lernenden etabliert, welche dann aber wieder durch den Unterweisenden neu herausgefordert werden muss – dies aber nur mit einer Herausforderung durch Überforderung mit nicht mehr als 30%! Wenn dieses Treppenmodell kontinuierlich fortgeführt wird und man anschließend gedanklich interpoliert (mathematisch einfach die Ermittlungen der gemeinsamen Geraden), dann erhält man eine wirkliche nach oben gerichtete Entwicklung. Wird dieses Modell nicht verfolgt, so erhält man lediglich eine Seitwärtsbewegung auf dem immer gleichen
Niveau. Die Betrachtung gilt stets für beide Ebenen – der mentalen sowie der körperlichen.

Wie verhält sich aber nun der Begriff der “Intention“ in der Kampfkunstausbildung im Hinblick auf die Effektivität in der Selbstverteidigung? Genauso wie beim Erlernen einer Sprache, beginnt man mit einfachen körperlichen Übungen, die auf einer theoretisch logisch und zusammenhängenden Strategie basiert. Dadurch dass in der Selbstverteidigung viele Aspekte gleichermaßen bedient werden müssen um auch die 100 % Sicherheit zu gewährleisten, lässt sich solch eine Ausbildung nicht über Nacht realisieren. Wie beim Sprachtraining müssen viele Aspekte bedient werden, wenn man seine Sprachkenntnisse zum Beispiel im geschäftlichen Einsatz anbringen will, ohne dabei irgendwelche Dinge durch Missverständnisse oder nicht verstehen falsch zu machen. Analog sollte die Intention der einzelnen Übungen für den Lernenden stets transparent gemacht werden, um eine Sensibilisierung für das Thema Selbstverteidigung im mentalen Bereich zu erreichen.

Parallel muss auf der körperlichen Ebene die “Intention“ einer jeden einzelnen Technik im Zusammenhang mit einer auf “Intention“ ausgerichteten Ausführung wahrnehmbar gemacht werden. Dies bedeutet einen hohen Anspruch an den Unterweisenden, denn nur er hat die Möglichkeit, den Lernenden stets in seinem Soll – Ist Regelkreis zu platzieren, und durch entsprechendes Training den Soll-Pegel immer weiter nach oben zu steigern. Anders und einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass wenn der Unterweisende die Ausführung der Techniken und Übungen in ihrer Intensität (gleich zu setzen mit “Intention“ der Umsetzung, zum Beispiel Absicht zu treffen) dem Lernenden gegenüber nicht steigert, wenn dieser sein neues Ausgangsniveau eingenommen hat, dann braucht sich der Lernende auch nicht weiter anpassen, respektive verändern. Wenn dies also schon auf einer niedrigen Stufe so geschieht, dann hat der Lernende keine Möglichkeit zu einer persönlichen Entwicklung.

Im alltäglichen Training, vor allem im Bereich der Selbstverteidigung ohne Waffen, werden gerne Szenarien als Ersatz für fehlende zu schulende logische Technikwerkzeuge geprobt, umso dem Lernenden ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Dies aber ohne dass man dabei körperlich sinnvolle Werkzeuge im Vorfeld herausgearbeitet hat, die mit entsprechender “Intention“ erlernt als auch im Partnertraining umgesetzt wurden. Dadurch fehlt dem Lernenden die notwendige Ausgangsbasis und er hat lediglich einfachste eigene körperliche Anlagen zur Verfügung, die er in diesem Falle nur durch eventuelle körperliche Überlegenheit kompensieren kann, um im Szenario zu bestehen.

Folgt man diesen Gedanken, denn es ist leicht zu erkennen, dass ein regelmäßiges Training mit Waffen dem waffenlosen Selbstverteidigungstraining konstruktiv in die Hand spielt – dadurch,
dass man mit Waffen oder waffenähnlichen Gegenständen zielgerichtete Bewegungen ausführt, die die “Intention“ verfolgen, einen möglichen Angreifer durch absichtliche Energieübertragung auf seinen Körper mittels eines Gegenstandes zu kontrollieren, lässt das Bewusstsein für “Intention“ auf körperlicher und mentaler Ebene um ein vielfaches stärker spürbar machen. Während man zum Beispiel im waffenlosen Training gerne auch mal seine “Intention“ den anderen zu fordern oder sogar zu treffen deutlich zurücknimmt (um zum Beispiel seinem Trainingsfreund kein schlechtes Gefühl zu geben), bekommt das Training mit der Waffe einen neuen Stellenwert. Die reine Selbsterkenntnis, dass ein gewaltbereiter bewaffneter Angreifer, selbst wenn er sich aus welchem
Grund auch immer zurücknimmt, dennoch gewaltigen körperlichen als auch mentalen Schaden zufügen kann, lässt den Begriff der “Intention“ greifbarer, spürbarer und vor allem realistischer werden. Vor allem für sich selber, um die “Intention“ seines Trainings deutlich zu verbessern.

Gleich welche Trainingsform – waffenlos oder mit Waffen – man bearbeitet, der Begriff der “Intention“ definiert die Effektivität des Trainings und ist auch im alltäglichen Leben immer wieder vorhanden:
spielerisches Erlernen von Inhalten lässt kaum oder wenig Entwicklung zu, sofern man mit diese Inhalte nachhaltig verinnerlichen und später Dinge damit umsetzen will, die von entscheidender Bedeutung sein sollen. In diesem Zusammenhang sei angeführt, das der Begriff “spielerisch“ eher auf die Umsetzung der Lernerfolge in Prüfungsumgebungen oder allgemein unter „Stress“ übertragen werden sollte. Ein “spielerisches“ Umsetzen in Prüfungsumgebungen oder unter „Stress“ macht dem Lernenden sein eigenes neues Entwicklungsniveau erst richtig bewusst.

Text: Sifu Schüssler