Der Begriff "Reflex" wird im Bereich der Kampfkünste und der Selbstverteidigung gerne in Anspruch genommen. Er soll zum Ausdruck bringen, dass die angebotene Disziplin durch ihre Trainingsmethode das innerste Wesen des Menschen so sehr verändert, dass man Angriffe blitzschnell abwehren kann. Der Begriff Reflex ist dadurch mit vielen positiven Attributen im Hinblick auf die Wehrhaftigkeit verbunden. Umschreibungen wie: ein "blitzartiger Reflex" soll die für den Menschen höchste körperliche Entwicklungsstufe in der Anwendung darstellen.

Tatsächlich ist auch ein Reflex die schnellste von Menschen ausführbare Reaktion auf ein unvorhergesehenes Ereignis. Dabei wird im Bereich der Kampfkünste und der Selbstverteidigung aber nur sehr selten auf die Betrachtung der Willkürlichkeit und Unwillkürlichkeit eines Reflexes eingegangen. Es wird der Begriff des Reflex sehr undifferenziert dargestellt – eigentlich nur in seiner einfachsten Bedeutung, um der angebotenen Trainingsmethode eine entsprechende positive Projektionsebene zuzuordnen.
Betrachtet man den Begriff Reflex unter dem Gesichtspunkt der Willkürlichkeit und der Unwillkürlichkeit, so stellt man fest, dass ein Reflex in Wirklichkeit nur eine unwillkürliche Form der reaktiven Handlung ist. Was ist eine unwillkürliche Handlung? Die Bewegung unseres Herzmuskels ist ein Beispiel für eine unwillkürliche Handlung oder Bewegung. Die Bewegung des Herzmuskels ist durch den Menschen selbst nicht steuerbar, soll heißen er kann diese Handlung oder Bewegung nicht bewusst verlangsamen, beschleunigen oder auch gar anhalten. Führt man diesen Gedanken weiter, und sieht eine durch den Menschen nicht steuerbare Bewegung oder Handlung als Reaktion auf eine unvorhergesehene Situation, dann spricht man von einem Reflex. Ein Reflex ist somit eine (von Natur aus) zwanghafte reaktive Handlungsweise, die durch den Menschen nicht regelbar als auch nicht umprogrammierbar ist. Dies bedeutet, dass ein Reflex durch keine Form der Schulung veränderbar oder einstellbar ist. Wenn also eine Schulungsmethode Reflexe schulen oder verbessern soll, dann ist dies ein nicht haltbares Versprechen, da Reflexe von der Natur aus entsprechend vorprogrammiert sind, und auch nicht verbessert werden können, denn sie werden von Natur aus generell mit maximaler Intensität ausgeführt, da sie ausschließlich als Schutzmechanismus dienen.
Beispiele hierfür: Das Berühren einer heißen Herdplatte im Dunkeln mit der Handfläche. Die Wahrnehmung der für die Haut gesundheitsgefährdenden heißen Temperatur an der Handfläche veranlasst durch direkte Informationsübertragung über das zentrale Nervensystem im Gehirn eine sofortige Ausführung des einfachst möglichen Schutzprogrammes – dem schnellstmöglichen Entfernen von der Gefahrenquelle. Dies ist ein nicht abänderbares Schutzprogramm in unserem Körper und wird als Reflex bezeichnet.

Ein anderes Beispiel aus dem Bereich des Zweikampfs: wenn sich ein Objekt oder generell eine Masse mit einer beliebigen Geschwindigkeit überraschend auf unsere Nase zu bewegt, wird ein sofortiger Schutzmechanismus in Gang gesetzt, welcher auch fälschlicherweise gerne als Reflex bezeichnet wird. Dieser "Reflex" besteht aus den zwei einfachsten Handlungsvarianten, die entweder einzeln für sich oder zusammen ausgeführt werden – das Schützen der Nase mit den Händen und/oder das Wegziehen des Kopfes aus der Bewegungslinie des Objektes.

Anhand der beiden Beispiele soll deutlich werden, dass ein Reflex nur dann zum Tragen kommt, wenn wir als Mensch auf einen plötzlichen Situationswechsel nicht vorbereitet sind! Das Beispiel der warmen Herdplatte: Würde dies im hellen Tageslicht geschehen und wüssten wir aufgrund der visuellen Wahrnehmung einer Kontrollleuchte um die Gefahr, dass die Herdplatte heiß ist. Würden wir dennoch die Hand auflegen, dann geschieht dies zwar gegen unsere eigene Natur – sozusagen mit Vorsatz – aber es käme nicht aus einer unvorhergesehenen und von uns „nicht angenommenen oder anders erwarteten“ Situation.

Das Phänomen der Annahme, sprich die eigene gedankliche Projektion auf unser Umfeld, spielt auch hier eine große Rolle. Wenn wir annehmen, dass eine Situation so sein soll, wie wir uns diese vorstellen, dies aber nicht zutrifft und wir nicht darauf vorbereitet sind, dann treten genau in diesem Moment die Schutzmechanismen in Form von Reflexen zutage. Und diese Reflexe sind nicht abstellbar, denn es ist für unser Gehirn die äußerste und sicherste Maßnahme des schnellen Selbstschutzes. Um die äußerste (schnellste) und sicherste Maßnahmen umsetzen zu können, müssen diese Reflexe in ihrer Struktur so einfach wie möglich sein. Dies bedeutet aber auch, damit die Reflexe auch effizient und wirksam schützen können, dürfen Sie nicht unterbrochen werden können, und sie konsequent das zu Ende bringen wofür sie in Gang gesetzt wurden.

Deshalb kann man den Begriff Reflex auch sehr gut mit dem Begriff "Zwangsroutine" gleichsetzen. In dem Moment wo der Mensch durch nicht vorhersehbare situative Umstände auf etwas reagieren muss, um sich maximal zu schützen, werden diese Zwangsroutinen ausgelöst, die er nicht mehr steuern, abstellen als aber auch auf gar keinen Fall ändern kann. Diese Zwangsroutinen sind, wie schon vorher erklärt, nicht schulbar, da sie über Jahrtausende der menschlichen Entwicklung unlösbar im Nervensystem verankert sind.

Die logische Fortführung dieses Gedankens für die Selbstverteidigung /Kampfkünste bedeutet aber, dass es eher wichtig ist, durch richtige Strategie selbst nicht in den Automatismus dieser Zwangsroutinen zu kommen, da diese – einmal ausgelöst – nicht mehr kontrollierbar sind. Diese Zwangsroutinen dienen ausschließlich dem Selbstschutz (sind also komplett defensiv) und binden alle Kapazitäten komplett dafür ein.

Erfolgt zum Beispiel ein Angriff so überraschend, dass dadurch eine Zwangsroutine (Reflex) ausgelöst wird, so kann ein strategischer Angreifer dies als kontinuierliches Kontrollmittel für seine eigene Sicherheit nutzen, indem er seine Angriffsstrategie fortführt, indem er nach dem ersten überraschenden Angriff weitere Angriffe mit hoher Intensität, Schnelligkeit und Zielausrichtung ausführt, die den Zustand der defensiven Zwangsroutine aufrechterhält, die auch in der Fachsprache „Block“ oder „Blockade“ heißt. Für denjenigen, der in den Zustand der Zwangsroutine steckt, gibt es nur noch zwei Optionen: Flucht oder panikartige Verkrampfung (Block). Beides ist mit hohen Risiken verbunden und bietet keine Sicherheit!

Die logische und intelligente Gegenstrategie, um selbst nicht in den Zustand der Zwangsroutine zukommen heißt: Offensivstrategie. Dies bedeutet, dass erstens keine überraschenden Angriffe durch bewusste und vorausschauende Wahrnehmung der eigenen Umgebung zugelassen werden sollten und zweitens, im Falle einer real existierenden Gewaltsituation, dass der Angreifer durch die eigene Offensivstrategie selbst in den Zustand der Zwangsroutine gezwungen werden muss, um so die Situation zu kontrollieren und eigene Risiken zu minimieren! Dies wird am einfachsten durch das Beispiel der Tennisballkanone verdeutlicht: Wenn die Tennisballkanone mit gleichbleibender Schussfrequenz und gleichbleibender Ausrichtung auf den Oberkörper- /Kopfbereich hin feuert, dann hat derjenige, der beschossen wird, keine Möglichkeit sich ohne massives Risiko der Kanone so anzunähern, dass er den Betriebsschalter betätigen kann, um die Kanone abzustellen oder sie einfach nur aus der Schussrichtung wegzulenken – es sei denn, er verfügt über einen Schutzschild, welcher ihn vor den Ballschüssen schützt. Dennoch verbleibt das Risiko, dass die Energie der auftreffenden Bälle hoch ist und sich vielleicht noch steigert, so dass man dadurch aus dem Gleichgewicht gebracht wird.

Um aber eine überlegene und effektive Offensivstrategie umsetzen zu können, bedarf es vieler Faktoren, die mit jeder Bewegung zu 100 % qualitativ umgesetzt werden müssen, als auch einer entsprechend effektiven Schulungsstrategie, die die Offensivstrategie gleichermaßen physisch als auch mental wahrnehmbar, erlernbar und umsetzbar macht!