Vorab zwei Definitionen, um die Begriffe sauber abgrenzen zu können:

Definition des Begriffes Stil: ein Stil ist eine Form der rein persönlichen Ausdrucksweise. Das heißt, der Ausgangspunkt ist immer die persönliche Sicht und Interpretation der Dinge.

Definition des Begriffes System: ein System ist ein Handlungsfaden, bei dem von vorneherein alle kalkulierbaren Größen eines Prozessverlaufes betrachtet wurden, um dadurch das Endergebnis immer gleichbleibend (mit gleicher Qualität) reproduzieren zu können oder im Falle von Abweichungen das Ergebnis weiterhin kalkulierbar zu halten.

Heutzutage werden im Bereich der Kampfkünste die Begriffe Kampfstil und Kampfsystem angewandt, leider aber fast durchgängig nicht korrekt und eindeutig. Wenn der Begriff ‚ Kampfstil‘ verwandt wird, so soll dies andeuten, dass es sich hier um eine individuelle und einzigartige Kampfmethode handelt, die von einer oder mehreren Personen erfunden wurden. Wird der Begriff ‚Kampfsystem‘ verwandt, so soll hier angedeutet werden, dass die Kampfmethode einen steuerbaren Plan verfolgt. Die Botschaft des Begriffes ‚Stil‘ zur Individualität und Einzigartigkeit spricht die emotionale Ebene an, die Botschaft des Begriffes ‚System‘ zur planmäßigen Methodik des rationalen und berechenbaren. Manchmal werden sogar beide Begriffe gebraucht für die gleiche Sache, um die emotionale Ebene als auch die rationale Ebene bei Menschen anzusprechen – hier soll vermittelt werden, dass alle Bedürfnisse zufrieden gestellt werden können.

Welche dieser beiden Begriffe – Kampfstil oder Kampfsystem – gibt dem Anwender überhaupt eine Nachhaltigkeit im Sinne von Sicherheit? Die Analogie zum Lotto als Form des Glücksspiels soll hier die Möglichkeit einer visualisierten Reflektionsebene für jeden verfügbar machen.

Bevor tiefer in das Thema eingestiegen wird, muss die Fragestellung geklärt werden, was die absolute Basis für eine logische und sicherheitsorientierte Handlungsstrategie ist: Information(en). Wenn man über keinerlei Information(en) gleich welcher Art verfügt, dann ist keine zusammenhängende Handlung möglich. Einfaches Beispiel hierfür: ein blinder Mensch verfügt über keine visuellen Informationen, die jedem sehenden Menschen die Möglichkeit der Früherkennung bietet. Dadurch ist er nicht in der Lage, sich frühzeitig vor dem Übergang in die körperliche Phase entsprechend vorzubereiten und einzustellen. Auf eine körperliche Gewalthandlung kann er gar nicht adäquat reagieren.

Informationen stellen das Lebenselixier jeder körperlichen Kampfhandlung dar. Dafür müssen aber auch entsprechende Lese- und Schreibmechanismen entwickelt sein. Weiterhin ist es wichtig zu wissen, welche Art von Informationen überhaupt für einen körperlichen Kampf von Bedeutung sind und welche nicht!

Die folgenden Betrachtungen werden nun schrittweise aufgebaut:

Ein Angreifer, der bereits die psychologische Vorspielphase mit Einschüchterungen und verbalen Exzessen durchlaufen hat, nimmt eine Haltung ein, die man visuell eindeutig als Vorbereitung für eine körperliche Kampfhandlung erkennt. Welche Informationen liefert er? Je nach persönlicher Entwicklung kann man aus seiner Haltung lesen, welcher Arm und welches Bein weiter nach vorne ausgerichtet sind, eine ungefähre Gewichtsverteilung ableiten und ob er auf einer Stelle stehen bleibt oder sich kontinuierlich bewegt und sein Position wechselt. Das ist erst mal nicht viel.

Zu der Tatsache, dass dieser Informationsgehalt äußerst gering ausfällt, kommt noch erschwerend hinzu, dass er keinerlei Informationen über seine weitere Vorgehensweise mitteilen wird. Beispiel hierzu: er nimmt eine aggressive Kampfhaltung ein, bei der zum Beispiel das linke Bein und der linke Arm nach vorne ausgerichtet sind, der rechte Arm und das rechte Bein liegen zurück – optisch ähnlich der Haltung beim Boxen als Linksausleger. Ist diese optische Erkennung auch gleichzeitig eine Garantie, dass er tatsächlich als erstes mit seinem linken Arm schlagen wird? Oder mit dem linken Bein tritt? Oder eine Garantie dafür, dass er nicht bevor er einen Angriff startet, seine Seitenausrichtung nicht durch einen Wechselschritt abrupt ändert? Gibt es überhaupt eine Garantie für eine 100-prozentig sichere Deutung, wie die nahe Zukunft verlaufen wird?
Und hier beginnt die Analogie zum Glücksspiel des Lotto: beim Lotto muss man sich eine Zahlenkombination ausdenken mit der Hoffnung und Annahme, dass diese Zahlenkombination den Erfolg bei der Ziehung der Zahlen hat. Diese Zahlenkombination muss Tage vor der Ziehung festgelegt werden. Das heißt, man gibt eine festgelegte Mutmaßung und Annahme für ein Ereignis ab, welches in der Zukunft passiert.

Übertragen wir diesen Gedanken auf die bisher betrachtete Situation des Angreifers, der bereits seine Kampfhaltung eingenommen hat. Die Informationen, die er bisher abgab, sind eher spärlich und geben keine Verlässlichkeit auf die nahe Zukunft, worauf sich der Verteidiger einstellen könnte. Dies bedeutet, dass man in diesem Moment eine Mutmaßung und Annahme auf die weiteren Ereignisse der Angriffshandlungen abgeben und seine Handlung festlegen muss – analog wie beim Lotto! Und das mit dem Wunsch und der Hoffnung, dass diese auch so eintrifft, damit die gewählte körperliche Gegenaktion auch Erfolg hat.
Wenn man die Wahrscheinlichkeit beim Lotto betrachtet, so liegt der Wert bei 1:140.000.000. Möchte man aber den Erfolg beim Lotto planbar produzieren, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder 140 Millionen Lottoscheine ausfüllen oder die Ziehung der Zahlen so manipulieren, dass die abgegebene Kombination umgesetzt wird. Da eine Manipulation der Ziehung strikt unterbunden ist, fällt diese Option aus. 140 Millionen Lottoscheine auszufüllen bedeutet einen immensen Kapitaleinsatz, der aber vielleicht nicht immer zurückgeführt wird, weil der Jackpot zu diesem Zeitpunkt geringer ist wie das einzusetzende Kapital.

Gehen wir aber noch mal auf die Option der Manipulation ein und nehmen einfach mal an, man könnte dies tun, so wird ersichtlich, dass auch dafür wieder Millionen von relevanten Informationen notwendig sind. So muss bei der Ziehung jede einzelne Kugel informationstechnisch verarbeitet und ständig synchron mit allen anderen Parametern begleitet werden können, um somit eine kontrollierte Steuerung zu ermöglichen. Das heißt, es müssen ständig Informationen gelesen werden können, als aber auch Befehle zurückgegeben werden müssen für die Steuerung (Informationen zurückschreiben).

Zurückführend auf unsere Kampfsituation bedeutet dies, dass der Verteidiger, der sich auf die visuelle Wahrnehmung beschränkt, informationstechnisch Lotto spielt. Sinn macht dies keinesfalls. Die möglichen Optionen, die dann verbleiben, sind entweder Flucht aus der Situation oder die panische Überreaktion mit totaler Überbeanspruchung der Kraftressourcen, die dann schnell aufgebraucht sein werden.

Möchte man diese Problematik systematisch und planbar angehen, so muss erst einmal, wie schon oben angesprochen, strukturiert werden, welche Art von Informationen bedeutsam und beeinflussbar sind. Zu dieser Tatsache kommt noch hinzu, dass diese Informationen nur dann nutzbar sein können, wenn der Körper auch in der Lage ist, diese lesen als auch zurückschreiben (zurücksenden) zu können. Und die einzige Wahrnehmung, die solche Informationen nutzbar machen kann ist der Tastsinn. Er erlaubt es, durch eine einzige Berührung gleichzeitig mehrere verschiedene Informationen zu lesen, zu verarbeiten und auch zurückzusenden. Ein Angreifer, der die Zielsetzung verfolgt, einen Angriff zur Wirkung zu bringen, wird immer einen körperlichen Kontakt erzeugen – auch ein Treffer ist ein körperlicher Kontakt. Da der Mensch aber über die Möglichkeit verfügt, seine Arme und seine Beine in ihrer Reichweite so optimal wie möglich nach vorne und in den Weg des ankommenden Angriffes als Hindernis auszurichten, wird der Punkt der Kontakterzeugung weit vorne vor dem eigentlichen Körper gelegt. Diese systematische Methodik entspräche bei der Analogie des Lotto der Option der Manipulation.

Daraus schlussfolgernd sieht der Bezug zu den Begriffen Kampfstil und Kampfsystematik nun wie folgt aus: ein Kampfstil, der auf der persönlichen Interpretation beruht und nicht die relevanten Informationen eines körperlichen Zweikampfes in Betracht zieht, hat den gleichen Stellenwert einer Zahlenkombination für eine Lottoziehung in der Zukunft. Man muss sich von vornherein festlegen ohne die Sicherheit zu haben, dass die Ziehung der Zahlen auch wirklich so eintrifft. Das Risiko des Verlustes beim Lotto ist der einmalige Einsatz von Geld ohne jede weitere Nachforderung. Das Risiko des Verlustes beim Zweikampf bleibt ein nicht kalkulierbares ohne jede Beschränkung. Eine Kampfsystematik mag keine Annahme oder Deutung der Zukunft – sie liebt und verlangt Informationen, auf die sie sich verlassen kann um den Prozess des Kampfes in jeder Phase kontrollierbar, planbar und kalkulierbar für die Zielsetzung der Kontrolle der Sicherheitslage zu halten.